Tomke Lindena im Interview
Im Interview spricht sich Tomke Lindena, Nachhaltigkeitsexpertin beim Thünen-Institut, für einen frischen Blick auf das Thema Treibhausgas-Emissionen in der Landwirtschaft aus. Außerdem erklärt sie, welche Faktoren bei der Berechnung des CO2-Fußabdrucks wichtig sind und welche Rolle die Größe eines Betriebs für die Klimabilanz spielt.
Frau Lindena, was macht das Thünen-Institut genau?
Als Forschungsinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) arbeiten wir an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Unsere 15 Fachinstitute verfügen über naturwissenschaftliche, technologische und sozioökonomische Kompetenzen. Ich selbst arbeite im Institut für Betriebswirtschaft im Arbeitsbereich "Internationale Wettbewerbsfähigkeit der Milchproduktion", zu dem auch das Thema Nachhaltigkeit und damit das QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch gehört.
Kühe und damit auch Milchhöfe werden häufig als Klimakiller dargestellt. Mal für einen Laien erklärt: Ist das wirklich so?
Was heißt eigentlich Klimakiller? Sind wir nicht auch Klimakiller, weil wir unser Kind mit dem SUV in die Kita fahren? Weil wir uns eine Avocado aufs Brot schmieren? Wir müssen uns bewusstwerden: Alles, was wir wirtschaften, alles was wir konsumieren, alles was wir tun, z.B. dass ich gerade in einem beheizten Raum vor meinem Laptop sitze, um diese Fragen zu beantworten: Alles hat einen CO2-Fußabdruck. Und den gilt es zu reduzieren, um den Klimawandel zu verlangsamen oder aufzuhalten – auch in der Milchviehhaltung.
Damit kommen wir zur Kuh und zu den Klimafakten: Es ist bekannt, dass die Landwirtschaft in Deutschland zum Ausstoß klimaschädlicher Gase beiträgt. Die Methanemissionen aus der Rinder- und Milchviehhaltung tragen dazu maßgeblich bei. Was wir uns aber vor Augen führen müssen: die Produktion von Nahrungsmitteln verursacht immer Emissionen. Auch wenn ich auf dem Acker Hafer anbaue, entstehen Emissionen.
Warum die Kuh mehr als ihr CO2-Fußabdruck ist, erfahrt ihr hier.
Was sind die stärksten Emissionsquellen in einem Milchbetrieb, abseits der Kuh?
Dazu zählen vor allem Lachgasemissionen aus der Lagerung von Wirtschaftsdünger und aus der Futtermittelproduktion. Grundlegend dafür sind biologische Prozesse, die sich nicht auf Null reduzieren lassen. Darüber hinaus können Treibhausgasemissionen durch Landnutzungsänderungen entstehen. Wenn also zum Beispiel für verfüttertes Soja Regenwald gerodet wird oder wenn Moore trockengelegt werden. Dem wirkt die Branche jedoch bereits seit vielen Jahren entgegen: Mittlerweile wird fast nur noch entwaldungsfreies Soja in der Milchproduktion eingesetzt. Insgesamt haben wir im weltweiten Vergleich in Deutschland vergleichsweise niedrige CO2-Fußabdrücke pro kg Milch.
"Alles hat einen CO2-Fußabdruck. Und den gilt es zu reduzieren – auch in der Milchviehhaltung."
Tomke Lindena vom Thünen-Institut
Wie fließen diese Erkenntnisse in das QM-Nachhaltigkeitsmodul mit ein, das das Thünen-Institut zusammen mit QM-Milch e.V. entwickelt hat?
Alle Branchen, nicht nur die Agrar- und Ernährungswirtschaft, stehen vor der Frage, welchen Beitrag sie zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten können. Für Landwirt:innen ist es zum Beispiel wichtig zu wissen, wo klimarelevante Emissionen entstehen. Was aus wissenschaftlichen Studien bekannt ist: Milchviehbetriebe haben unterschiedlich hohe CO2-Fußabdrücke pro kg Milch. Und Unterschiede bedeuten, dass Landwirt:in A es besser macht als Landwirt:in B. Unterschiede bedeuten also, dass es betriebsindividuelle Verbesserungspotenziale gibt. Und diese Verbesserungspotenziale müssen sichtbar gemacht werden, und zwar anhand von Praktiken, die im Alltag auf den Höfen umgesetzt werden können. Genau das machen wir mit dem QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch: Wir zeigen verschiedene Stellschrauben auf - auch in Bereichen, die Einfluss auf die Klimabilanz haben. Dabei sind das alles keine neuen Bereiche - Themen wie beispielsweise Tiergesundheit haben sich die Milcherzeuger:innen schon immer genau angeschaut. Sie bekommen jetzt nur eine andere Perspektive, weil sie eben auch für den CO2-Fußabdruck relevant sind.
Macht die Größe des Hofes einen Unterschied aus, wenn es um das Thema Emissionen und CO2-Fußabdruck geht?
Nein, die Größe eines Hofes macht keinen Unterschied. Der CO2-Fußabdruck sagt etwas über die Bewirtschaftungsweise und den effizienten Einsatz von Ressourcen auf einem Milchviehbetrieb aus. Das hängt aber vom Management und den Gegebenheiten vor Ort ab, nicht von der Betriebsgröße. Tatsächlich spielt zum Beispiel auch das Wetter eine Rolle, ob der Fußabdruck niedrig oder hoch ist, denn das Wetter bestimmt (mit), wie gut die Futterqualität ist. Die Berechnung des CO2-Fußabdrucks ist immer sehr betriebsspezifisch und somit auch die Möglichkeiten, die ein Betrieb hat, diesen zu reduzieren. Es gibt wenige Maßnahmen, mit denen pauschal alle Milchviehbetriebe ihre Emissionen senken können, da jeder Betrieb eine andere Ausgangssituation hat.
"Es gibt wenige Maßnahmen, mit denen pauschal alle Milchviehbetriebe ihre Emissionen senken können, Jeder Betrieb hat eine andere Ausgangssituation."
Tomke Lindena
Immer häufiger werden CO2-Fußabdrücke von Lebensmitteln veröffentlicht bzw. auch miteinander verglichen. Wie können sich Verbraucher:innen orientieren?
Leider ist es im Moment tatsächlich so, dass es viele verschiedene Tools gibt, mit denen Fußabdrücke berechnet werden. Die Formeln dahinter und welche Bereiche einbezogen werden, unterscheiden sich. Darüber hinaus unterscheiden sich auch die Datenbanken, auf die gerade für die Ausweisung von Produkt-Fußabdrücken zurückgegriffen wird. Es ist auch so, dass in einer Charge die Milch von vielen verschiedenen Betrieben zusammen verarbeitet wird. Das bedeutet, dass die meisten Fußabdrücke im mittleren Bereich liegen werden, weil die Betriebe so unterschiedlich sind.
Momentan erlaubt der Fußabdruck auf Verpackungen in meinen Augen leider noch keine einfache und schnelle Orientierung zwischen mehr oder weniger klimafreundlicher Milch. Für die Betriebe ist die Erstellung solcher regelmäßigen Klimabilanzen mit einem hohen Aufwand verbunden. Aus wissenschaftlicher Perspektive stellt sich deshalb auch die Frage, ob Klimaschutz nicht auch über andere Wege als das Produktlabeling erreicht werden kann, z.B. über die Förderung der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen in der Praxis.
Ihr wollt mehr erfahren? Tomke war auch zu Gast bei Let's talk Milch. In der Folge Nachhaltigkeit messen, aber wie? erklärt sie, wie Wissenschaft und Praxis für eine zukunftsfähige Milchproduktion zusammenarbeiten. Hört rein!
Tomke Lindena ist Expertin beim Thünen-Institut und dort Anprechpartnerin zu allen Themen rund um Nachhaltigkeit. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem damit, wie Nachhaltigkeit messbar gemacht werden kann und entwickelt hierzu einheitliche Kriterien. In dieser Funktion ist sie auch maßgeblich am QM-Nachhaltigkeitsmodul beteiligt. Es schafft eine wissenschaftliche Grundlage, die Landwirt:innen und Molkereien auf ihrem Weg zu einer zukunftsfähigen Milchwirtschaft unterstützt.