Interview mit Klima-Experte Lorenz Maurer
Milch macht mehr Klimaschutz möglich! Die Landwirt:innen der Generation Zukunft entdecken immer neue Wege, Treibhausgase einzusparen. Und das ganz wirtschaftlich. Ein Helfer: Der LfL Klima-Check. Mitentwickler und Agrarforscher Lorenz Maurer verrät uns, wie der funktioniert, welchen Impact das Tool auf die Höfe hat – und wie es mittels „Was-Wäre-Wenn-Szenarien“ die Zukunft des Hofes errechnen kann.
Lorenz Maurer und seine Kolleg:innen von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) entwickeln seit 2017 den LfL Klima-Check kontinuierlich weiter. Er hilft Landwirt:innen dabei, Treibhausgasquellen in ihrem Betrieb zu erkennen und zu reduzieren. Das Besondere an ihrem Angebot: Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz werden zusammengedacht!
Das Tool der Landesanstalt ist einer von vielen Rechnern, die den Betrieben und Molkereien zur Verfügung stehen. Mittlerweile sind Klima-Rechner unverzichtbare Instrumente geworden, um Treibhausgasemissionen transparent zu berechnen. Sie schaffen die nötige Datengrundlage, auf der die Branche ihren nachhaltigen Weg fortführt.
Im Interview stellt Lorenz Maurer den Klima-Check seines Instituts genauer vor. Außerdem erklärt er, warum die Berechnung der Klimawirkung so wichtig ist und welche Chancen und Herausforderungen damit verbunden sind.
Hallo Lorenz. Was genau ist denn der LfL Klima-Check?
Die Idee hinter dem LfL Klima-Check ist es, sämtliche Produktionsverfahren in der Tierhaltung und im Pflanzenbau abzubilden. Die wichtigste Kennzahl, die der Klima-Rechner liefert, ist der Treibhausgas-Fußabdruck. Dabei handelt es sich um einen produktbezogenen Wert, der die CO2e-Emissionen pro Kilogramm Milch angibt. Aber das Tool hat noch viel mehr zu bieten. Nutzende erhalten Detailinfos darüber, wo und in welchen Mengen Treibhausgase entstehen. Wir nennen das auch „Hotspot Analyse“.
Was bedeutet denn das e in CO2e?
CO2e ist die Kurzform für CO2-Äquivalente. In der Milchviehwirtschaft entstehen neben Kohlendioxid auch Methan und Lachgas. Um die Klimawirkung dieser verschiedenen Treibhausgase besser vergleichen zu können, werden sie in CO2-Äquivalente, also CO2e, umgerechnet. Das erleichtert die Berechnung und das Management von Treibhausgasemissionen.
Die Landwirtschaft kann einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Gleichzeitig ist sie vom Klimawandel unmittelbar betroffen.
Lorenz Maurer
Wie ist der Klima-Check entstanden?
Die Grundlage für den LfL Klima-Check bildet der sogenannte Deckungsbeitragsrechner der LfL, ein betriebswirtschaftliches Tool, das bereits seit 2007 online zur Verfügung steht. Landwirt:innen erstellen damit eine betriebswirtschaftliche Auswertung des eigenen Betriebs. Darauf bauten wir auf und haben den Rechner um die Dimension Treibhausgasemissionen erweitert. Im Deckungsbeitragsrechner und im LfL Klima-Check fließt die Expertise aller Fachinstitute der LfL zusammen. Ein echtes Gemeinschaftswerk.
Für die Landwirt:innen ergibt sich aus der Verbindung von Ökonomie und Treibhausgasbewertung ein Doppelnutzen. Denn eine Eingabe genügt, um Kennzahlen zur Wirtschaftlichkeit und den Treibhausgasemissionen eines Betriebs zu erhalten. Das ist auch ganz im Sinne des Nachhaltigkeitsgedanken, der eben nicht nur Klimaschutz umfasst.
Was meinst du damit?
Nachhaltigkeit hat laut Definition drei Dimensionen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Auch die Treibhausgasemissionen eines Betriebs sind nur ein Teil des Bereichs Ökologie. Weitere wichtige ökologische Aspekte sind zum Beispiel der Flächenbedarf und der Eintrag von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in natürliche Ökosysteme. Das Tool soll deshalb zukünftig um weitere Aspekte der Nachhaltigkeit ergänzt werden.
Das Besondere am LfL Klima-Check als Klima-Rechner ist aber bereits heute, dass er die Treibhausgasemissionen und die Wirtschaftlichkeit eines Betriebs in Beziehung setzt. Damit haben wir schon zwei wichtige Aspekte der Nachhaltigkeit zusammengebracht. Das hat zwei entscheidende Vorteile. Zum einen erhalten die Nutzenden ein differenziertes Bild darüber, wo Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit Hand in Hand gehen. Zum anderen informiert der Rechner aber auch darüber, wo Klimaschutzmaßnahmen mit Kosten verbunden sind. Landwirt:innen und Molkereien können so mit Hilfe von Daten argumentieren, an welchen Stellen Unterstützung wünschenswert ist – sei es vom Handel, von der Politik oder auch der Zivilgesellschaft.
Wie hilft das Tool den Landwirt:innen dabei, neue Prozesse zu erproben?
Das Tool kann ‚Was wäre, wenn …‘-Szenarien entwerfen. Gebe ich die Daten in den Rechner ein, erhalte ich ein digitales Modell vom Betrieb. Dabei gilt natürlich: Je mehr eigene Daten ich eingebe, desto aussagekräftiger ist das Ergebnis für meinen Betrieb. In einem nächsten Schritt kann ich Anpassungen vornehmen und sehe direkt, welchen Effekt eine bestimmte Maßnahme auf den Treibhausgasausstoß hat. So kann ich zum Beispiel virtuell ein Futtermittel durch ein anderes ersetzen und erhalte umgehend ein Ergebnis.
Und die Daten werden alle online eingegeben? Es kommt niemand von der LfL in den Betrieb und erfasst die Daten, sondern die Landwirt:innen machen das alles selbst?
Genau! Das wirkt anfangs etwas komplex und überfordernd. Man muss aber nicht alle Daten eingeben, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu den Treibhausgasen zu erhalten. Wir haben hierfür extra Leitfäden erstellt, die Landwirt:innen bei der Erstellung ihrer Bilanz unterstützen. Außerdem haben wir kürzlich eine Schnittstelle entwickelt, mit der Daten von externer Software in unser System ein- und ausgespielt werden können. So können auch andere Unternehmen die Ergebnisse des Rechners über ihre eigene Benutzeroberfläche zugänglich machen. Auch sonst bahnen sich viele Innovationen an, um die Datenerfassung zu vereinfachen. Zum Beispiel können Landwirt:innen ihre bereits vorhandenen Daten automatisiert ins Tool einlesen. Die Eingabe erfolgt so präziser und ist weniger fehleranfällig. Gleichzeitig spart das den Landwirt:innen natürlich viel Zeit und Nerven!
Wo können Betriebe denn am Besten ansetzen, um die betrieblichen Treibhausgasemissionen zu reduzieren?
Einer der größten Hebel ist mit Sicherheit die Fütterung. Denn die Erzeugung von Futtermitteln ist mit Treibhausgasemissionen verbunden, die eingespart werden können. Es geht darum, wie effizient das Futter in Milch umgesetzt wird. Und es geht darum, welche Futtermittel eingesetzt werden. Beim Pflanzenbau ist auch die Stickstoffdüngung ein großer Hebel. Ein effizienter Einsatz von Stickstoffdünger reduziert Lachgasemissionen. Lachgas ist ein sehr starkes Treibhausgas. Ein weiterer Faktor ist die Tiergesundheit. Ein langes, gesundes Leben wirkt sich positiv auf die Treibhausgasbilanz aus. Sicher gehört auch eine angemessene Milchleistung zu einer effizienten und damit klimafreundlichen Milcherzeugung. Auch der Umgang mit den Wirtschaftsdüngern, also Gülle und Mist, spielt eine Rolle. Weidebetriebe haben hier zum Beispiel einen Vorteil: Was die Tiere auf der Weide ausscheiden, verursacht weniger Treibhausgasemissionen. Auch der Einsatz von Gülle und Mist als Gärsubstrat in Biogasanlagen wirkt sich positiv auf die Treibhausgasbilanz eines Betriebs aus.
Viele Betriebe erzeugen ihre Futtermittel selbst. Wie wirkt sich das auf die Bilanz aus?
Die meisten Betriebe nutzen den LfL Klima-Check aktuell nur für die Milcherzeugung, nicht für andere Betriebszweige und nicht für den eigenen Futterbau. Für die Milcherzeugung wird im Detail abgefragt, was in der Milchviehhaltung im engeren Sinne passiert. Das betrifft zum Beispiel das Herdenmanagement, die Fütterung der Kühe und die Lagerung von Wirtschaftsdünger. Für die Emissionsfaktoren der Futtermittel, also die „THG-Rucksäcke“ welche die Futtermittel in die Milcherzeugung mitbringen, werden dabei Standardwerte verwendet. Diese Werte berechnen wir entweder selbst im LfL Klima-Check oder wir beziehen sie aus speziellen Ökobilanz-Datenbanken. Das ist schon ein sehr guter Anfang für Betriebe, die gerade in die THG-Bewertung einsteigen.
Den LfL Klima-Check gibt es aber auch für viele andere landwirtschaftliche Verfahren, darunter auch Verfahren des Futterbaus. Zum Beispiel der Anbau von Grassilage, Heu, Maissilage und verschiedenen Getreidearten. Nutzer:innen können also auch THG-Bewertungen für diese Futtermittel selbst berechnen und die Ergebnisse dann in den LfL Klima-Check Milchkuh mitnehmen. Damit können sie den eigenen Betrieb noch besser abbilden und können auch mögliche Reduktionsmaßnahmen am eigenen Betrieb besser identifizieren.
Transparenz ist wichtig, wenn wir als Gesellschaft gemeinsam in die richtige Richtung steuern wollen. Die Berechnung von Treibhausgas-Emissionen ist ein Teil dieser Entwicklung.
Lorenz Maurer
Was sind die großen Herausforderungen bei der Erstellung eines CO2e-Fußabdrucks?
Wirklich herausfordernd ist es, den verschiedenen Ansprüchen und Erwartungen der Nutzenden gerecht zu werden. Auf der einen Seite sollte das Tool so bedienerfreundlich wie möglich sein. Landwirt:innen haben häufig wenig Zeit, schon gar nicht, um sie vor dem Computer zu verbringen. Andererseits wollen wir es den Nutzenden ermöglichen, den eigenen Betrieb wirklich realitätsnah abbilden zu können. Dafür sind Flexibilität und ein hoher Detailgrad notwendig. Nur so wird man der großen Vielfalt landwirtschaftlicher Betriebe gerecht und kann individuelle Lösungen für unterschiedlichste Betriebe finden.
Hin und wieder kommt es auch vor, dass Nutzende frustriert sind. Dann können sie ihren Betrieb nicht wirklichkeitsgetreu abbilden, weil zum Beispiel ein ganz bestimmtes Futtermittel fehlt, das sie einsetzen. Ein Rechner muss also möglichst einfach in der Anwendung sein und gleichzeitig möglichst flexibel die unterschiedlichsten Betriebe abbilden können. Gar nicht einfach!
Kommen wir zur letzten und vielleicht wichtigsten Frage: Warum ist die Erstellung eines THG-Fußabdrucks wichtig?
Weil der Klimawandel eine zentrale Herausforderung für die Menschheit darstellt. Neben der dringend notwendigen Abkehr von fossilen Brennstoffen spielt dabei auch die Landwirtschaft und insbesondere die Nutztierhaltung eine Rolle. Die Landwirtschaft kann einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft vom Klimawandel unmittelbar betroffen, auch in Deutschland. Klimaschutz ist gerade auch für die Zukunft der Landwirtschaft sehr wichtig. Wir sind als Gesellschaft aktuell dabei, die Treibhausgas-Emissionen in allen Bereichen der Wirtschaft transparent zu machen. Entsprechende Gesetzgebung zur verpflichtenden, transparenten Berichterstattung für größere Unternehmen ist weltweit in Erarbeitung. Diese Transparenz ist wichtig, wenn wir als Gesellschaft gemeinsam in die richtige Richtung steuern wollen. Die Berechnung von Treibhausgas-Emissionen der landwirtschaftlichen Erzeugung ist ein Teil dieser Entwicklung.
Lorenz Maurer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Agrarökonomie an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er den Klima-Check kontinuierlich weiter und trägt dazu bei, den Klimaschutz in der Landwirtschaft mit Hilfe verlässlicher und vergleichbarer Daten voranzutreiben.