Let's do Zukunft vor Ort
Florian ist mit seinem Hof in Ostwestfalen ein Pilotprojekt im Rahmen eines NetZero-Programms. Er, wie auch weitere Betriebe, arbeiten hier Hand in Hand mit verschiedenen Expertenteams daran, Wissenschaft in die Praxis zu übersetzen. Ihr Ziel: Emissionen und die CO2-Speicherkapazität in ein Gleichgewicht bringen, so dass bis 2045 eine "Netto-Null" steht.
Die Startphase einer NetZero-Farm wird zunächst von vielen Messungen begleitet, um die Ausgangssituation klar zu erfassen. Von hier erfolgen Schritt für Schritt Anpassungen. Zum Beispiel im Futtermanagement. Die „Gamechanger“ können dabei auch klein und zart sein. So macht Florian gute Erfahrungen mit Klee. Er kann wie Gras CO2 aus der Luft aufnehmen und in seinem tiefliegenden Wurzelwerk im Boden speichern. Doch das ist nicht alles: Denn er bindet auch Stickstoff aus der Luft und gibt ihn über seine Wurzeln in tiefe Bodenschichten.
Klee wirkt also wie ein natürlicher Dünger, wenn er zum Beispiel als Zwischenfrucht auf einer Ackerfläche ausgesät wird. Gleichzeitig bildet er im Verbund mit dem Stickstoff hochwertiges Eiweiß, das die Kuh als Futter zu sich nimmt. So spart Florian Dünger und muss weniger Kraftfutter einkaufen, da das Grün von Gras und Klee als Grundfutter bereits eine Menge Energie für die Kühe liefert. Ganz einfach ausgedrückt: Je mehr Kraft bereits im Grundfutter steckt, desto besser für die ökologische und ökonomische Bilanz.
Florian erklärt Sarah-Sophie von Let's do Zukunft die Vorzüge von Klee.
Sein Klee-Ansatz ist nur ein Beispiel dafür, wie Florian täglich neue Dinge probiert, um CO2-Emissionen zu reduzieren. Sein langfristiges Ziel ist es, bis 2045 die Netto-Null zu erreichen. In der Landwirtschaft bedeutet das: Alle Emissionen, die nicht Teil natürlicher Kreisläufe sind, sollen heruntergeschraubt und das Potenzial für die CO2-Speicherung im Rahmen der regionalen Voraussetzungen voll ausgenutzt werden.
Was Florian in diesem Kontext wichtig ist, zu betonen: Eine nachhaltig denkende Milchviehwirtschaft setzt nicht beim Tier an – die Kuh darf und soll weiterhin ein tiergerechtes Leben führen. “Der Methanausstoß der Kühe ist etwas ganz Normales. Sie frisst und verdaut, wie sie das seit tausenden von Jahren tut,” erklärt Florian. Und das tut die Kuh auch, wenn sie keine Milch gibt. Es handelt sich also um Emissionen, die Teil eines natürlichen Kreislaufs sind. Hier sieht der Landwirt auch eine Chance: “Wir können Emissionen, die zu natürlichen Kreisläufen gehören, im Ackerbau und in der Pflanzenwirtschaft durch Kohlenstoffspeicherung wieder ausgleichen.”
Warum natürlicher Kreislauf? Nur Wiederkäuer sind in der Lage, das Gras auf Wiesen zu verdauen. Gleichzeitig brauchen Wiederkäuer immer einen gewissen Mindestanteil an rohfaserhaltigem Gras in der Ration, sonst können sie nicht überleben. Kuh und Grünland bilden also seit jeher eine ökologische Einheit. Das Gute: Während Wiesen und Weiden besonders gut darin sind, Kohlenstoff aus der Luft zu binden, können Kühe das Gras in Milch umwandeln. Der beim Verdauen entstehende Mist regt darüber hinaus das Pflanzenwachstum an – eine runde Sache!
“Wir können Emissionen, die zu natürlichen Kreisläufen gehören, im Ackerbau und in der Pflanzenwirtschaft, durch Kohlenstoffspeicherung wieder ausgleichen.”
Im Fokus stehen also jene Emissionen, die infolge der Bewirtschaftung anfallen. “Wir greifen in den natürlichen Kreislauf ein, indem wir Futter durch die Gegend fahren, lagern und für den Winter vorsorgen”, erklärt Florian. Daher müsse es darum gehen, die Milchwirtschaft und Futtermittelproduktion so regional wie möglich zu gestalten. Zum Beispiel hat er sein Silo extra nah an den Stall gebaut, um lange Fahrten zu vermeiden.
Außerdem geht es ihm um einen schonenden Umgang mit dem Boden, den er bewirtschaftet. Dabei zielt er darauf ab, dem Boden nur so viel zu entnehmen, wie in natürlichen Kreisläufen regeneriert werden kann. Das sorgt für eine bessere Struktur des Ackerbodens, der das Wasser besser aufnehmen und speichern kann. Dadurch ist dieser nicht nur fruchtbarer, sondern er muss auch weniger bewässert werden. Außerdem werden Mikroorganismen und andere Kleinstlebewesen geschützt, die zur Humusbildung und CO2-Einsparung beitragen.
Ein weiteres Projekt, an dem er zurzeit arbeitet: die Kombination von Mais mit Stangenbohnen. Das Prinzip ist ganz ähnlich wie beim Klee auf seinen Weiden. Die beiden Pflanzenarten gehen quasi eine Symbiose ein, wobei die eiweißreichen Stangenbohnen auch den Proteingehalt im Mais erhöhen. Darüber hinaus unterstützt die Mischkultur die Biodiversität vor Ort und versorgt den Boden mit Stickstoff – heißt: Florian muss weniger düngen – so zumindest in der Theorie.
Wie groß der Effekt solcher Experimente dann wirklich ist, zeigen die nackten Zahlen: “Im Nachgang wird Bilanz gezogen und gerechnet. Die Frage lautet: Hat sich der Fußabdruck verändert? Also ist der Einfluss da, und wenn ja: Wie groß ist er?”, erzählt Florian. Dank des Klees spart Florian 60 bis 100 Kilogramm Dünger. Zudem erhöhte sich die Menge an für die Kühe nutzbaren Protein um 10 bis 15 Prozent. Die Antwort darauf, welchen konkreten Effekt die Einsparungen und Zugewinne letztlich auf den CO2-Fußabdruck haben, steht derweil noch aus. Die Werte befinden sich noch in der Auswertung. Doch grundsätzlich gilt: Messen, verändern, verbessern – das Credo vieler Landwirt:innen greift auch hier.
Doch wer bei Florian zu Besuch ist, der wundert sich zunächst: von Labor oder Hightech keine Spur. Um Teil von NetZero zu sein, musste Florian nichts an seinem Hof ändern. Er brachte bereits die idealen Voraussetzungen dafür mit. Denn von Tag eins wirtschaftet er im Sinne von Tierwohl und Umwelt – darauf ist auch sein Hofsystem ausgelegt. Er achtet auf kurze Transportwege und baut das Futter für seine Tiere größtenteils selbst an. Alle zwei Wochen holt die örtliche Biogasanlage, mit der er kooperiert, den Mist der Kühe ab. Damit werden Teile des Dorfs mit grünem Strom versorgt.
All die Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit laufen sozusagen im Verborgenen ab, zumindest außerhalb der Wahrnehmung der Vierbeiner. Doch auch wenn die Vorgänge sowohl für die Kühe als auch für Laien nicht auf den ersten Blick sichtbar sind: Für die Entwicklung der Branche in Richtung Nachhaltigkeit sind sie Gold wert!
Florians Hof