Gerlinde Mock im Interview

Milch überrascht selbst Sensorik-Profis

Gastro-Trainerin Gerlinde Mock über die Faszination von Milch und ihre Erkenntnisse in der Milch-Sommelier-Ausbildung.

Frau Mock, warum wollten Sie Milch-Sommelière werden?

Als Trainerin in der Erwachsenenbildung begleite ich im Schulungszentrum Fohnsdorf in Österreich Erwachsene am zweiten Bildungsweg zu Restaurantfachkräften und Köch*innen. Ich bin der Meinung, dass Aktualität und Know-how rund um Milch sowohl für mich als auch für künftige Gastronomiefachkräfte beruflich und privat von Interesse und wichtig sind. Die Milch begegnet uns in der Gastronomie in so vielen Bereichen, von der Küche bis zur Kaffeebar, da war es einfach die logische Konsequenz, die Milch-Ausbildung zu absolvieren.

Das Naturprodukt Milch begleitet uns in der Qualifizierung sehr häufig, zum Beispiel in vielen Kaffeekompositionen, im Umgang mit Käse, in der Zubereitung von Mixgetränken und natürlich im küchentechnischen Bereich. Es ist faszinierend, wie sich gleiche Kaffeegetränke durch die Zugabe unterschiedlicher Milchsorten sowohl optisch als auch sensorisch verändern, wenn auch nicht immer zu deren Vorteil. Nicht jede Milch passt in jeden Kaffee.

Ich finde es wichtig, die Wertigkeit von qualitativ hochwertigen Produkten hervorzuheben, sowohl den ernährungsphysiologischen Mehrwert als auch Geschmack, Produktsicherheit, Regionalität, Nachhaltigkeit und Tierwohl.

Welcher Aspekt hat Sie am meisten gereizt?

Interessant fand ich den Themenblock zu pflanzenbasierten Drinks, die ja aktuell sehr gehypt werden. Sie sind eine völlig eigenständige Getränkegruppe und keine Alternative zur Milch, weder von den Inhaltsstoffen noch von der Herstellung und den Emissionswerten her. CO2-Gehalt, Klimabilanz und ernährungsphysiologischer Wert werden zu selten datenbasiert kommuniziert. Leider wird die Milch dadurch zu Unrecht in einem schlechteren Licht dargestellt. Daher finde ich diesen Schwerpunkt der Sommelier-Ausbildung sehr wichtig.

Inwiefern?

Hier ist verstärkte Kommunikation nötig. In der Ausbildung erlebe ich immer wieder junge Menschen, die der Milch sehr skeptisch gegenüberstehen. Nach erfolgter Sensibilisierung wird jungen Menschen Milch als hochwertiges Naturprodukt erst wieder bewusst. Sie erkennen die Wichtigkeit der Verwendung unterschiedlicher Milchprodukte in der Restaurantküche.

In meinem beruflichen Umfeld mit unterschiedlichen Gruppen und der kompetenz- und digitalorientierten Arbeit finde ich es generell enorm wichtig, sich den Zusammenhang zwischen Ernährung, Bewegung und psychosozialer Gesundheit bewusst zu machen. Qualifizierung kann erst stattfinden, wenn die Grundbedürfnisse erfüllt sind. Milch ist das beste Beispiel: Sie leistet durch die einzigartige Nährstoffkonstellation einen wichtigen Beitrag für eine ausgewogene Ernährung, um körperlich, geistig und sozial fit zu bleiben.

Gerlinde Mock beim Sensorik-Training.

Sie haben bereits diverse Sommelier-Qualifikationen erworben. Was haben Sie Neues in der Milch-Sommelier-Weiterbildung gelernt?

Weinakademie und Sommelier-Ausbildungen sind generell sehr intensiv. Es dauert mitunter mehrere Jahre bis man fertig ist, und ausgelernt ist man nie. Man betrachtet den Rohstoff, die Herstellung, die gesetzlichen Grundlagen und lernt viel über die Hintergründe des Produkts. Bei der Milch ist das hauptsächlich der landwirtschaftliche Bereich. Durch die Kuh bekommt das Thema eine zusätzliche, spannende Perspektive. Es ist ja unglaublich, wie Milch entsteht, vom Gras auf der Weide bis zur Reifung im Euter. Die Natur zeigt uns damit ihre Einzigartigkeit.

Beeindruckend fand ich die sensorische Verkostung von Rohmilchen verschiedener Kuhrassen und die geschmacklichen Ausprägungen. Neben unterschiedlichem Fettgehalt waren in den verschiedenen Verprobungsrunden Aromen von Honig, Nuss, Mandel, Trockenfrüchten, Melone, Marille oder Heublume zu unterscheiden. Geruch und Geschmack von verarbeiteter Milch sind gar nicht so leicht zu differenzieren. Doch sie sind da. Bei der sensorischen Verkostung bin ich nach dem mir vertrauten Schema der Wein- und Bier- Verkostung vorgegangen, also die Prüfung von der Optik und Konsistenz über den Duft und Geschmack bis zum Mundgefühl. Damit eröffnete sich mir schließlich eine komplexe Geschmackswelt.

Welchen Aspekt der Ausbildung fanden Sie besonders spannend?

Neben meinem Fachgebiet fand ich die ganzheitliche Betrachtung hinsichtlich Milchpolitik, Nachhaltigkeit und Ernährung mit dem Blick auf die Landwirtschaft hochinteressant. Die Fütterung und Haltung der Tiere wirkt sich auf die Inhaltsstoffe von Milch und Milchprodukten aus, insbesondere auf den Anteil von Omega-3-Fettsäuren und konjugierten Linolsäuren. Das natürliche Zusammenspiel von hochwertigem Eiweiß, leicht verdaulichem Milchfett, Calciumaufnahme-förderndem Milchzucker und lebensnotwendigen Mineralstoffen bzw. Spurenelementen ist ernährungsphysiologisch einzigartig.

Besonders spannend fand ich auch die unterschiedliche Angebotspalette von Milch und Milchprodukten zwischen Deutschland und Österreich. In Deutschland gibt es wesentlich mehr Produktgruppen. In Österreich gibt es zum Beispiel keine Vorzugsmilch oder Schmand. Ich habe wirklich viel Neues dazugelernt.

Was erhoffen Sie sich von diesem Wissen für Ihre Arbeit?

Ich erhoffe mir, Sensibilität für ein Naturprodukt zu schaffen, das zu einer ausgewogenen Ernährung dazugehört. Es gibt vielerorts den Wunsch nach sogenannten intelligenten Protein-Mixes bzw. Functional Food. Die Lösung liegt so nahe durch hochwertige Milch und Milchprodukte aus der Region mit artgerechter Tierhaltung und in ausgewogener Dosis. Die liegt laut Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) bei etwa 200 bis 250 ml Milch und 50 bis 60 g Käse pro Tag.

Anhand von epidemiologischen Studien ist der Verzehr von Milch und Milchprodukten überwiegend positiv besetzt. Daher finde ich eine datenbasierte und faire Diskussion wichtig, um mit den Mythen rund um das Thema Milch aufzuräumen. Schön wäre generell, wenn mehr faktenbasiertes Milchwissen über deren positive Wirkung in der täglichen Ernährung in die Öffentlichkeit getragen würde, speziell mit Blick auf Knochendichte und Osteoporose oder im Sportbereich.

Und wie sieht das bei Ihrer Arbeit als Gastro-Trainerin aus?

Wenn Gäste einen Milchkaffee bestellen, sollen Gastronomiefachkräfte in der Lage sein, eine kurze Information zu Herkunft, Herstellung, Haltung der Kühe, den Inhaltsstoffen der Milch und deren besondere ernährungsphysiologische Wirkung zu geben. Eine positive geschmackliche Beschreibung mit Optik, Geruch und Geschmack soll den Gästen wieder Lust auf den Genuss von hochwertiger und regionaler Milch machen. Für Kund*innen soll ein Mehr an Information zu einem bewussten Einsatz von Milch und Milchprodukten in der täglichen Ernährung sowie zu einer bewussten Kaufentscheidung führen.

Durch die Milch-Sommelier-Ausbildung habe ich gute Argumente an die Hand bekommen, um die Milch künftig noch besser zu verteidigen. Ich bemerke immer wieder, dass da noch eine große Unsicherheit herrscht: Was soll ich essen, was ist gesund? Im Qualifizierungsbereich der Erwachsenenbildung und in der Lehrlingsausbildung, auch in Zusammenarbeit mit der Lehrlingsakademie, haben wir in der Gastronomie eine wertvolle Plattform, um hochwertige Produkte wie Milch einzubinden, zu verwenden und darüber zu sprechen. Das ist eine einzigartige Möglichkeit, die Dinge zurechtzurücken. Die Milch hat so eine Chance, wieder fair bewertet zu werden.