Heiko Antoniewicz im Interview
Kulinarische Kreationen in der Gastronomie leben von Traditionen, aber auch von Kreativität und Neugierde ihrer Schöpfer:innen. Sternekoch Heiko Antoniewicz verrät im Interview aktuelle Kochtrends und welche Relevanz Milchprodukte in der Gastroküche der Zukunft haben werden.
Milch gehört schon immer zum Standardrepertoire des Gastronomen und ist ein Comfort Food, das immer wieder nostalgische Gefühle weckt. Zudem ist die Verwendung von Milch fester Bestandteil der Kochausbildung und eingebettet in gelernte Prozesse. Der Geschmack entscheidet über den Einsatz eines Lebensmittels in der Küche, und hier ist Milch in Hinblick auf neue Kreationen unschlagbar. Milch bietet eine komplexe Geschmackswelt, die eine große Kreativität ermöglicht. Um die geschmacklichen Nuancen zu differenzieren, werden sogar Milch-Sommeliers ausgebildet.
In der Küche ist es ein bisschen wie in der Mode: Man lässt sich inspirieren, zum Nachdenken anregen, kreiert Neues. Köche und Köchinnen holen sich dazu Inspirationen aus anderen Kulturen und interpretieren alte Kochtraditionen neu. So findet auch die seit Jahrtausenden eingesetzte Milch immer wieder Einzug in neue Rezepte.
Bei der Weiterentwicklung der Küche geht es immer auch um das größere Verständnis für Lebensmittel. Ein gutes Beispiel ist die Molekulare Küche, die Kochkunst und Wissenschaft zusammenführt. Aufgrund ihrer Eigenschaften bietet sich Milch sehr gut für die Anwendung in der Molekularen Küche an. Sie eröffnet spannende Neuschöpfungen wie Milchschnee, die Ummantelung mit Milchhaut, Bonbons mit Milchmantel, Joghurt-Sphäre oder Crispy-Joghurt.
Einer der größten Trends ist für mich weiterhin die bereits erwähnte Molekulare Küche. Früher, zu meinen Ausbildungszeiten, hieß es stets: „Das haben wir schon immer so gemacht, das bleibt auch in Zukunft so.” In der Molekularen Küche hingegen ist alles möglich. Mittlerweile gibt es so viele neue Verfahrenstechniken, dadurch schaffen wir es, unsere Küche deutlich moderner und auch sehr viel leichter zu gestalten. Wir haben angefangen, mit Wissenschaftler:innen zusammenzuarbeiten und konnten Einblicke in unterschiedliche Kulturen gewinnen. Denn auch das ist ein Trend: Unsere Gäst:innen erwarten immer Neues, das möchten wir ihnen bieten. Dennoch wird die Tradition weiterhin einen hohen Stellenwert in der Küche genießen. Denn auf ihr fußt alles Neue. Gäst:innen erwarten zudem nicht nur Neues, sondern hinterfragen auch zunehmend Herkunft, Haltung und Fütterung der Tiere, mit deren Erzeugnissen wir arbeiten. Ich bin auch deshalb der Überzeugung, dass das Terroir der Milch – also Faktoren wie Boden oder Klima – in der Küche in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird.
Der Tenor in der Sterneküche lautet noch immer: Milch und Molkereiprodukte als hochwertige Naturprodukte sind unersetzlich. Für mich persönlich ist Sahne im Dessert zum Beispiel nicht wegzudenken, die Alternativen können da bislang nicht mithalten. Es ist auch so: Bei jeder pflanzenbasierten Variante muss ich mir zunächst lange das Know-how erarbeiten. Jeder pflanzliche Drink hat andere Eigenschaften, der Reisdrink ganz andere als etwa der Pekanussdrink, Soja andere als Hafer. Aktuell ist es so, dass in der Sterneküche meist nur auf speziellen Wunsch der Gäst:innen vegane Milchalternativen zum Einsatz kommen.
Milch genießt traditionell einen hohen Stellenwert in der Küche und das wird meiner Meinung nach auch so bleiben. Allerdings wird sich einiges an der Herangehensweise ändern. So lernen wir zum Beispiel immer noch nicht in der Ausbildung, wie man Milch richtig verkostet. Dabei schmeckt jede Milch anders – und das entscheidet dann auch über ihr Einsatzgebiet. Wenn ich Milch verkoste, mache ich das genauso wie bei Wein oder Bier. Die komplexe Geschmackswelt offenbart sich mir über Optik, Konsistenz, Geschmack, Duft und Mundgefühl. Ich bin jedoch auch der Meinung, dass pflanzenbasierte Alternativen ebenso ihre Berechtigung in der Küche der Zukunft haben werden. Ihre Verwendung ist aber noch nicht in die Lehrpläne eingeflossen. Auch hieran müssen wir arbeiten.
Pflanzliche Gerichte werden die Speisekarten bestimmen, angereichert durch das kreative Geschmacks-Potenzial der Milch. Hierbei spielt der Aspekt der Regionalität eine große Rolle. Denn der typische Geschmack eines Lebensmittels wird durch seine Herkunft bestimmt. Bei Milchgeschmack etwa ist entscheidend, womit die Kuh gefüttert und wie die Milch verarbeitet wurde. Die vielfältigen Milchprodukte ergänzen die pflanzliche Basis ideal und ermöglichen spannende Variationen. Die moderne Küche muss offen sein für alle Lebensmittel, die in der Küche nebeneinander existieren, um in neuen Geschmackstrends zusammenzufinden. Gastronom:innen werden in Zukunft aufgeschlossener sein gegenüber neuartigen Kombinationen aus beiden Welten. Auf lange Sicht sollten daher sowohl pflanzliche als auch tierische Produkte wie Milch als selbstverständliche Zutaten angesehen werden.
Milch in der traditionellen und molekularen Küche
Heiko Antoniewicz wurde 1965 in Dortmund geboren. Dort absolvierte er seine Ausbildung und wurde 1990 zum bis dato jüngsten „Koch des Jahres” ausgezeichnet. Nach Stationen in der gehobenen Sterneküche, machte er sich mit einem Fine-Dine-Catering selbständig. Er schrieb zahlreiche Bücher, berät die Industrie und hat sich auch als Dozent in Europa und Asien einen Namen gemacht.